Überleben in Oeynhausen

Durch die öffentliche Berichterstattung verfolgen viele Menschen das aktuelle Geschehen unserer Kolonie. Manch interessierter Beobachter nimmt Kontakt zu uns auf und erzählt uns, warum es für ihn wichtig ist, dass Oeynhausen erhalten bleibt.

 

So auch Marianne Jenke, die durch Ihre Vergangenheit mit Oeynhausen verbunden ist. Sie hat uns Ihre Geschichte erzählt und erlaubt, sie hier zu veröffentlichen. Vielen Dank dafür an Frau Jenke und ebenso an Holger J. (Text und Fotos).

 

Überleben in Oeynhausen - Wie Marianne Jenke in einem Erdloch die letzten Kriegstage überstand

„Da stand unser Plumpsklo, und da war der Wasserhahn. Nein, das gibt’s ja gar nicht, unser Birnbaum. Ja, das muss er sein!“ Marianne Jenke steht im Rosenweg vor der Parzelle 56: „Das war einmal unser Grundstück. Hier habe ich den Endkampf um Berlin überlebt. In einem Erdloch, das mein Vater selbst gegraben hatte.“

Die 75-Jährige blickt über den Gartenzaun: „Unser Häuschen steht nicht mehr, aber die von meinem Vater geschlosserte Gartenpforte (Foto) existiert noch. Einfach unglaublich!“ 

 

Und plötzlich sind sie wieder da, viele Erinnerungen an 1945, als ihre Familie hier Unterschlupf gefunden hatte: Großmutter, Eltern, die gerade siebenjährige Marianne und ihr vier Jahre jüngerer Bruder.

 

„Unsere Wohnung in der Dievenowstraße war nach einem Bombenangriff ausgebrannt“, erzählt die Schmargendorferin, die heute in Lichterfelde West wohnt.

 

„Da gelang es meinem Vater, einen Garten mit Behelfsheim in der Kolonie Oeynhausen zu bekommen. Das war ein Holzhäuschen mit eineinhalb Zimmern. Mein Vater musste nicht an die Front, weil er im Fernmeldewesen arbeitete und in Berlin gebraucht wurde.“

 

Am 21. April 1945 hatte die Rote Armee bei Malchow Berlins Stadtgrenze erreicht.

„Da hatte Papa längst ein riesiges Erdloch neben unserem Häuschen ausgehoben, die Wände mit Holz gesichert, auch ein Dach mit Einstiegsluke gebaut. Ein wenig Licht gab eine Petroleumlampe. Weil die Luftangriffe immer heftiger geworden waren, war ihm der Weg zum nächsten Schutzraum für die Familie zu weit und zu unsicher.“

 

Den siebten Geburtstag des Mädchens feierte die Familie am 23. April noch oberirdisch, „dann lebten wir nur noch in unserem Privatbunker. Wir Kinder schliefen auf Decken auf dem Erdboden. Wenn wir nachts die Luke öffneten, standen die Lichtfinger von Flakscheinwerfern am Himmel.“

Vieles hat Marianne Jenke verdrängt. „Nein, ich weiß nicht mehr, wo meine Eltern Essen organisierten, wovon wir gelebt haben.“ Aber sie wird ihre Todesangst nie vergessen, als in unmittelbarer Nähe eine Bombe einschlug, alles schwankte. Nach jedem Angriff rief die Familie ihren Nachbarn zu: „Alles in Ordnung bei uns!“ Und freute sich über Antwort: „Wir leben auch noch!“ 

 

Schließlich verlief die Front sogar durch die Kolonie. „Am Morgen des 29. April ging über uns die Luke auf, ein russischer Soldat befahl uns alle nach draußen. Wir kletterten unsere Leiter hinauf, die Rotarmisten inspizierten unser Versteck. Sie suchten nach Wertsachen, fanden Ringe meiner Mutter, nahmen sie mit.“

 

Ein anderer Soldat zog mit zwei Koffern los, „in denen unsere ganze Garderobe steckte. Meine Großmutter schrie hinter ihm her, Halt! Gab ihm mutig Zeichen, die Koffer abzusetzen. Sie schickte uns Kinder, wir sollten uns auf die Koffer setzen. Und das Wunder geschah, der Russe überließ uns unser Gepäck.“

Schlechte Erinnerungen an die russischen Soldaten hat Marianne Jenke nicht: „Sie waren nett, gaben uns Kindern sogar mal Weißbrot.“ 

 

Aber die Familie musste ihr Grundstück verlassen, „weil hier noch gekämpft wurde. Die Russen hatten eine Gefechtsstellung in der Kolonie, in unserer Hütte war ihr Befehlsstand, am Hohenzollerndamm standen deutsche Geschütze. Wir fanden Zuflucht in einer leer stehenden Wohnung.“

Der Krieg war für Berlin erst am 2. Mai vorbei, General Weidling hatte morgens den Widerstand einstellen lassen, unterzeichnete die Kapitulationsurkunde.

 

Wenig später konnte Marianne Jenke mit ihrer Familie wieder in ihr Behelfsheim im Garten. „Es sah furchtbar aus. Meinem Vater gelang es erst nach und nach, alles wieder halbwegs wohnbar zu machen. In der Nachbarparzelle vergrub er in einem tiefen Loch alles, was die Russen zurückgelassen hatten. Ich weiß nicht, ob es auch Waffen waren.“

Einen Winter lebten sie noch auf dem Grundstück. „Wir heizten mit unserem Kochherd. Meine Mutter schaffte es irgendwie, Holzstubben aus dem Grunewald mit einem geliehenen Pferdefuhrwerk dafür zu organisieren. Überleben halfen uns auch die Päckchen, die unser Vater schickte. Er hatte inzwischen Arbeit beim US-Sender RCA gefunden und war bei der Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen tätig.“

 

Dann fand die Familie eine Wohnung, zog später nach Lichterfelde Süd. Den Schmargendorfer Garten gab sie 1955 auf. Heute gehört er Familie Reh, deren Schwiegersohn Thomas Lensky (Foto) auf dem Gelände als Hobbymaler schon viele Aquarelle schuf.

 

Auch wenn Marianne Jenke lange nicht hier war – das Schicksal der Wilmersdorfer Kleingartenanlage lässt sie nicht los: „Ich war entsetzt, als ich von den Bebauungsplänen in der Zeitung las. Oeynhausen half uns Überleben. Jetzt drücke ich Oeynhausen die Daumen, dass die Kolonie überlebt!“

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Kommentare: 2
  • #1

    Gisela Pers (Mittwoch, 23 Oktober 2013)

    Guten Tag, liebe Frau Jenke - das ist eine Information, die ich noch nicht kannte.
    Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Ich habe Sie fast nicht erkannt auf den Fotos.
    Schmal geworden? Ich habe in diesem Jahr auch 15 kg durch Krankheit abgenommen (3 Wo. eine merkwürdige Grippe Jan./Febr., danach bis Anfang Juni eine schlimme Gastritis. Ich habe ein wenig zugenommen und es geht mir wieder gut. Alles Liebe für Sie - Gisela Pers aus Motzen -

  • #2

    Gisela Pers (Mittwoch, 23 Oktober 2013 14:40)

    Nachtrag -
    Im übrigen hoffe ich, daß die Kolonie überlebt. Die gehören wirklich zu Berlin.
    Beton haben wir genug.
    Liebe Grüße G.Pers -