Demut vor dem Bürgerwillen

Autor: Holger Jost

Selbst der legendäre Willy Brandt holte bei Berlin-Wahlen nie mehr als 61,9 Prozent (Februar 1963), die SPD schaffte an der Spree nur ein Mal ein noch besseres Ergebnis: Im Dezember 1948 erreichte sie 64,5 Prozent der Wählerstimmen fürs Berliner Parlament.

 

Umso höher sind die 77,06 Prozent einzustufen, die beim Bürgerentscheid in Charlottenburg-Wilmersdorf jetzt für den Erhalt von Oeynhausen stimmten: 84.729 Wähler wollen die grüne Lunge Schmargendorfs sichern – auch in Kenntnis eines vom Bezirksamt unermüdlich besungenen Entschädigungsrisikos von angeblich bis zu 25 Millionen!

 

Eine 25.-Mai-Euphorie, eine Adhoc-Stimmung?

 

Bereits im September 2013 wollen in einer Umfrage von Immobilienscout24 und Ziegert-Bank selbst Wohnungssuchende (!) keine Grünflächen für neue Wohnungen opfern. Innerhalb des Berliner Ringes lehnten 56 Prozent der Befragten eine Bebauung von Kleingärten ab, außerhalb noch 54 Prozent.

 

Sogar in einer Emnid-Umfrage, beauftragt vom Grundstückseigner Lorac selbst, erklärten Anfang Mai 2014 den Angaben zufolge 67 Prozent der Charlottenburg-Wilmersdorfer, sie würden beim Bürgerentscheid für den Erhalt der Kolonie Oeynhausen stimmen.

 

Zuletzt ergab im Juni die Umfrage des Berliner Kurier „Soll es in Berlin möglich sein, dass Kleingarten-Anlagen für neue Sozialwohnungen (!) geopfert werden?“ ein ebenfalls eindeutiges Ergebnis: 32 % Ja, 68 % Nein.

 

Die Berliner Bürger sprechen eine eindeutige Sprache!


Nach Tempelhof und Oeynhausen - Diskussionen um Bürgerbeteiligung und die Deutung der Ergebnisse

"Größere Konflikte entstehen dort, wo auf ehemals öffentlichen Flächen der Bahn oder der Post um das Primat der kommunalen Planungshoheit gegen die Interessen von Investoren an günstig erworbenen Flächen gerungen wird. Prägnante Beispiele sind hier der Mauerpark oder die Kleingartenkolonie Oeynhausen."

 

(Zitat von Tillmann Heuser, BUND im nachstehend verlinkten Tagesspiegel Artikel)

Gartenrotschwanz im Nistkasten der Kolonie füttert den Nachwuchs
Gartenrotschwanz im Nistkasten der Kolonie füttert den Nachwuchs
  • Der Tagesspiegel, Tillmann Heuser, 02.06.2014 "Hört endlich den Berlinern zu". In der Debatten-Serie mit der Überschrift "Nach dem Tempelhof-Entscheid" kamen im Tagesspiegel auch Stefan Evers, Jan Stöß, Katrin Lompscher, Antje Kapek und Ramona Pop zu Wort (im Suchfeld des Tagesspiegel "Nach dem Tempelhof-Entscheid" eingeben).  
  • Anja Urbschat kommentiert Ulf Poschardts Sicht der Dinge in der Welt (verlinkt im Tagebuch-Eintrag vom 27.05.2014), The Huffington Post, 01.06.2014: "Die Kleingärtner-Metropole der "Welt""

 


Kurzbericht aus dem Stadtentwicklungsausschuss am 28.05.2014

Am Vortag der Ausschusssitzung hatte die Mitgliederversammlung der Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf den Beschluss gefasst "zur Sicherung der Planung unverzüglich eine Veränderungssperre zu erlassen". Nicht einmal 24 Stunden später war dieser Beschluss - zumindest für diejenigen Fraktionsmitglieder der Grünen, die im Stadtplanungsausschuss vertreten sind - Schnee von gestern. Weder Herr Dr. Heise noch Herr Gusy noch Frau Wieland, von denen zumindest 2 am Vorabend bei der Beschlussfassung anwesend waren, fühlten sich berufen auch nur das geringste Wort zu äußern, als Herr Schulte klarstellte, dass eine Veränderungssperre aus seiner Sicht jetzt nicht das richtige Mittel sei.

 

Bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts aus Mai 2014 in Sachen Verpflichtungsklage Lorac gegen das Land Berlin und auch im 4. Gutachten aus Dezember 2013 wurde dem Bezirk Passivität vorgeworfen. Trotzdem lautet die Devise offenbar, wir schauen weiterhin dem Investor zu und machen: Nichts. 


Anstehende Termine

Nächster Stadtentwicklungsausschuss am 11.06.2014

Am 11.06.2012 tagt der nächste Stadtentwicklungsausschuss. Auf der Tagesordnung ist ein nicht-öffentlicher Punkt zur Kolonie Mannheim "Vorstellung des Vorhabens zum Bauvorhaben Bebauungsplan IX-205b, Kolonie Mannheim durch die Kleingarten und Heimstättengenossenschaft Mannheim e.G." Zunächst war dieser Punkt öffentlich, wurde dann aber als nicht-öffentlich auf der Webseite ausgewiesen. Der B-Plan IX-205b für die Kolonie Mannheim ist ebenso wie der B-Plan IX-205a für die Kolonie Oeynhausen zur Grünflächensicherung gedacht und schmort seit Jahren in der Schublade. Auf der Tagesordnung der letzten Bezirksverordnetenversammlung gab es einen Punkt Veränderungssperre für den B-Plan Mannheim, der dann aber wieder entfernt wurde. Warum die Vorstellung eines Bauvorhabens nicht-öffentlich stattfindet ist unverständlich, da wir schon einige Vorstellungen von Bauvorhaben in öffentlicher Sitzung erlebt haben. Berichten aus der Kolonie Mannheim zufolge geht es um den Wunsch, in Mannheim eine Einfamilienhaussiedlung zu erlauben.

Erste Sitzung des nichtständigen Ausschusses Oeynhausen am 12.06.2014

Wichtiger jedoch ist der 12.06.2014, hier tagt erstmals der nichtständige Ausschuss Oeynhausen und zwar: öffentlich, im Helene-Lange-Saal des Rathauses Charlottenburg um 19:15 Uhr. Hier noch einmal der Beschlusstext zu diesem Ausschuss: 

 

"Zur Untersuchung der von verschiedener Seite im Zusammenhang mit der Prozessführung des Bezirksamtes vor dem Verwaltungsgericht Berlin zum Bürgerentscheid und der damit verbundenen Kostenschätzung in den Raum gestellten Behauptungen wird gem. § 29 Abs. 2 S. 2 GO BVV ein nichtständiger Ausschuss mit neun Mitgliedern im Verhältnis 3:3:2:1 eingerichtet. Der BVV ist bis zum 30.11.2014 ein Abschlussbericht vorzulegen."

Nächste Bezirksverordnetenversammlung am 19.06.2014

Die nächste Bezirksverordnetenversammlung findet am 19.06.2014 statt. Sofern nicht alle Grünen den Beschluss ihrer Mitgliederversammlung ignorieren, müsste eigentlich ein Antrag auf Veränderungssperre kommen. Die Tagesordnung ist ab dem 11. oder 12.06.2014 auf der Webseite des Bezirksamtes zu sehen, da sie im Ältestenrat besprochen wird und der am 11.06.2014 tagt. Termin in jedem Fall vormerken.

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